Darf ich vorstellen? Dieses hübsche Mädel ist unsere Negri, deren Geschichte im spanischen Andalusien beginnt und uns sehr berührt hat. Sie wurde 2019 von Tierschützern ins Tierheim von Ubeda gebracht nachdem sie auf der Straße aufgegriffen wurde. Die näheren Umstände sind leider nicht bekannt, sodass keinerlei Aussagen zur Zeit vor ihrem Tierheimaufenthalt gemacht werden können. Wir lernten Negri bei unserem Besuch im Tierheim im Juni 2022 kennen und sahen einen Hund der keine Hoffnung mehr in den Augen hatte. Sie saß seit 3 Jahren in einem viel zu kleinen Zwinger und ihr einziger positiver Moment am Tag war das tägliche Futter. Diese Hoffnungslosigkeit auf vier Pfoten wollten und konnten wir einfach nicht zurücklassen und holten sie zu uns nach Deutschland. Seitdem lebt sie bei einer erfahrenen Hundetrainerin, die ihr die Welt noch einmal von einer anderen Seite zeigt und gemeinsam mit ihr von vorne beginnt. Würde man ein Tagebuch verfassen, würde es sich folgendermaßen lesen:
Bei uns kam ein Hund an, der nicht nur Angst hatte, sondern situativ auch Panik. Weg, einfach nur weg, komme was wolle, das war ihr einziger Gedanke. Ging der Weg nicht nach hinten, dann nach vorne, im Zweifel auch in Richtung Mensch, was dem Fahrer des Transportes schmerzliche Erinnerungen einbrachte, als er Negri aus der Box holen wollte. Negri ließ sich nicht anfassen, man konnte sie nicht direkt anschauen, auf sie zugehen, oder schnelle Bewegungen machen, ohne dass sie in Panik verfiel. So kann man sich vorstellen, dass ein normaler Alltag erstmal nicht möglich war. Mal eben schnell ein Halsband und Leine anlegen, ein Traum von dem wir meilenweit entfernt waren. Was macht man nun mit so einem Hund? Ganz sicher nicht von alleine kommen lassen und ihm alle Zeit der Welt geben, bis er selbst zum Menschen kommt. Das mag schön klingen, bewirkt aber genau das Gegenteil und hätte Negri noch weiter in ihr tiefes Loch sinken lassen. Also hieß es nun mehrmals täglich arbeiten, in kleinsten Schritten, ohne dass eine Übung in Panik oder Notwehr enden durfte. Das verlangte einiges an Feingefühl, denn der Grad, in dem die Situation kippen könnte, war zu Beginn sehr schmal. Aber das Schöne an Terriern ist, dass sie sehr schnell lernen und auch Negri hat beachtliche Fortschritte in den ersten Wochen gemacht. Dies kann man auf den ersten Videos von ihr sehr gut sehen. Sie hat sich geöffnet und gelernt dem Menschen wieder vertrauen zu können. Vielleicht nicht immer, aber immer mehr.
Nach und nach kam draußen auch der Terrierkopf durch und sie hatte endlich ihre Genetik für sich entdeckt. Was für viele ein Ausschlusskriterium ist, ist für uns einfach nur schön anzusehen. Ja, ihr Jagdtrieb ist als vermutlicher Deutscher Jagdterrier durchaus deutlich vorhanden und sie verfolgt draußen ihr Vorhaben auch sehr zielstrebig. Sie nimmt jede Spur gerne auf und ist auch bei Sichtkontakt sehr interessiert daran, hinterher zu laufen. Dennoch bleibt sie mittlerweile gut ansprechbar und ab und zu auch abrufbar. Ob ein Freilauf in ferner Zukunft allerdings möglich ist, würde ich zum jetzigen Zeitpunkt eher ausschließen. Wir sind an dem Punkt, an dem man mit Negri einen ganz normalen Alltag führen kann. Sie lässt sich streicheln, festhalten, hochheben, ein Halsband anlegen. Autofahren ist kein Problem, alleine bleiben ist nicht ihre Stärke. Man kann überall mit ihr spazieren gehen und selten sind Umwelteinflüsse noch ein großes Problem. Falls doch hat sie gelernt sich am Menschen zu orientieren und Sicherheit zu suchen. Sie versteht sich sehr gut mit Hunden und fühlt sich in deren Gesellschaft wohl. Allerdings lässt sie sich selten auf ein Spiel ein, es hat mehr mit Imponieren als mit spielen zu tun. In manchen Situationen lässt sie sich aber auch nicht die Butter vom Brot nehmen, was als Terrier gewisse Ausmaße annehmen kann, z.B. beim Thema Futter. Dies kam bisher aber nur bei ihr bekannten Hunden im häuslichen Bereich vor. Fremden Hunden gegenüber verhält sie sich eher zurückhaltend und will Abstand. Dennoch ist sie es gewohnt in der Gruppe zu sein und würde als Einzelhund nicht glücklich werden. Sie liebt es mit ihr liebgewonnenen Hunden zusammen zu liegen. Wenn man nach Hause kommt freut sie sich und jeder kann hören und sehen wie groß die Freude ist. Doch so schön die Freude auch ist, sollte man immer bedenken, dass in einer hohen Erregungslage die Stimmung immer schnell kippen kann. Wer Terrier kennt, der weiß, dass sie Stimmung gerne annehmen und bei einer Meinungsverschiedenheit gerne vorne mit dabei sind, auch wenn es sie gar nicht betrifft. Im Grunde ist sie aber ein sehr witziger Hund, flitzt gerne mal herum und macht lustige körperliche Verrenkungen. Wo ist nun also der Knackpunkt, das hört sich doch alles toll an, oder? Man hat den Eindruck, dass Negris Vergangenheit Schnee von gestern ist, dem ist aber nicht so. Negri verfällt immer wieder in alte Muster. Nicht regelmäßig und unterschiedlich heftig, aber von Zeit zu Zeit. Das können Kleinigkeiten sein wie z.B. plötzlich nicht mehr über glatte Böden laufen können oder Treppen steigen, bis hin zu kurzen Panikattacken aus augenscheinlich unerklärlichen Gründen, aus dem Halsband herauswollen, oder in sich zusammenfallen und „einfrieren“, sodass sie kaum noch ansprechbar ist. Es kommt manchmal ganz unverhofft und man findet keinen direkten Auslöser. Andere Situationen können auch beim Üben mit ihr auftreten. Was gerade noch super funktioniert hat, bringt sie im nächsten Moment dazu komplett in sich zusammen zu fallen. All diese Symptome weisen mittlerweile auf ein Deprivationssyndrom hin, was auf mangelnde Erfahrungen und Isolation im frühen Welpenalter und, in ihrem Fall, vielleicht auch auf schlechte Erfahrungen in Kombination hinweist. Letzteres würde ebenfalls erklären, warum Negri nach wie vor ein großes Thema mit verbindlicher Nähe, vor allem mit Händen, mit Enge und „Nicht wegkönnen“ hat. Das sitzt sehr fest und selbst hier haben wir situativ täglich damit zu tun. Diesen Stempel kann man nicht jeden Hund gleich aufdrücken, der schlechte Erfahrungen gemacht hat, oder durch eine Vermittlung von Tierheim in ein Zuhause zu Beginn mit der neuen Umgebung völlig überfordert ist. Das ist ein großer Unterschied. Schon in den ersten Wochen hat sie enorme Fortschritte gemacht, im Alltag, in fremden Situationen, gegenüber dem Menschen. Dennoch bleiben die unerklärbaren Momente, an denen man sich fragt: „Was hat sie denn jetzt?“. Negri hilft Struktur im Alltag, Rituale und feste Regeln. Man muss einfühlsam und kontrolliert mit ihr umgehen, im nächsten Moment aber auch deutliche Grenzen aufzeigen, wenn ihr Hirn plötzlich nur noch auf Terrier geschaltet ist. Ein gutes Mittelmaß ist entscheidend. Es braucht mehr Erfahrung als nur einen ängstlichen Hund gehabt zu haben, denn Negri lernt sehr schnell, auch oft auf´s erste Mal. Das kann allerdings Fluch und Segen zugleich sein, denn manche Fehler verzeiht sie einem sehr schwer. Negri musste lernen zu vertrauen, vielleicht aber auch Menschen etwas zuzutrauen? Sicherlich von beidem etwas. Deshalb bewerben Sie sich bitte nur, wenn Sie den Text gelesen und verstanden haben und auch darüber informiert sind, was es heißt, ein Zusammenleben mit einem solchen Hund zu gestalten, vor allem im Hinblick auf das oben genannte Deprivationssyndrom. Es ist eine große Aufgabe, sich den Platz an Negris Seite zu verdienen, denn auch wenn sie hier schon viele Menschen kennt, bleiben Interaktionen mit den meisten Menschen stets oberflächlich. Bisher konnte nur eine Person ein tieferes Vertrauen gewinnen, indem der wie oben beschriebene Alltag in dieser Form möglich ist.
Negri ist komplett geimpft, gechipt und nicht kastriert. Der Mittelmeertest auf Leishmaniose ist leider positiv ausgefallen und sie ist auf Tabletten eingestellt. Geboren ist sie geschätzt ca. 2016, sie könnte aber auch noch etwas jünger sein.